Rezension zu:
Jürgen Schmidt-Pohl „Flieder, Lavendel und Geruch des Todes“

Farbenspiel mit Worten

Ein Mann ist durch einen Terrorakt ums Leben gekommen und sein Freund erinnert sich aufschreibend an die gemeinsamen Zeiten. Beide kamen sie einmal unabhängig voneinander nach politischer Haft in die Bundesrepublik. Beide studierten sie dann. Der Verstorbene, weil er mit den Traumata eines Verlierers in den Westen kam. Der andere, der nun in der Gewißheit des Todes über den Freund aufschreibt was sie verband, wollte sich damit vermutlich nur beweisen, daß er dies auch in der DDR hätte tun können, wenn er es wirklich gewollt hätte. Denn dieses Studium nützt ihm anschließend für keinen entsprechenden Job. Er wurde ein malender Künstler aus eigener Entwicklung und verdient seinen Lebensunterhalt mit Aufträgen, die er als ehemaliger Fallschirmjäger bekommt.
Doch Schreiben über einen Menschen ist nicht einfach, vor allem dann nicht, wenn dieser sich Jahrzehnte vorher in eine Liebe verstrickte, die seine Lebensbahn veränderte. Der Mann Leinenfeld will wissen, warum diese Liebe nicht gelang. Nur so, glaubt er, kann er seinen Text über den Freund beenden. Er sucht die Begegnung mit der Frau, die fast vierzig Jahre zuvor dem Freund in Südfrankreich begegnete, wo auch er nun mit ihr zusammentrifft. Die Frau soll vorgeblich seinem Text für eine Veröffentlichung den letzten Schliff geben. Sie einigen sich und als er der Frau sagt, wer sein Freund war, dem er sein Buch widmen wolle, da erinnert sie sich. Erinnerte Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander und aus der erinnerten, vergeblichen Liebe von einst entsteht ein Gefühl zwischen den beiden.
Bereits dieser Stoff hätte für einen Roman gereicht, mit der Rekonstruktion einer nicht gelingenden Liebe in den Zeiten des Kalten Krieges und aller Schuld und Ressentiments von damals, die in der Gegenwart des vereinten Deutschlands fortleben und keine Liebe zwischen dieser Frau Miria und Leinenfeld zulassen. Denn die Vergeblichkeit der Liebe von einst bedeutet in der Gegenwart das Scheitern von Beziehung durch die Unmöglichkeit von Liebe. Doch von Beginn des Textes an werden dem Leser, eher wie beiläufige Randnotizen, die Kriegsereignisse des Jahres 2018 als Medienmeldungen nahegebracht. Sie sind es, die immer intensiver in die Handlung des Buches eingreifen und die Gedanken Leinenfelds bestimmen.
Als Leinenfeld dann ein Job als Personenschützer in Bagdad angeboten wird und er den annimmt, auch weil er dort die Tochter der Frau vermutet, die er für das Kind seines toten Freundes hält, da ergibt sich eine fortlaufende zweite Handlung mit der Suche nach dieser Tochter.
Die Handlung des ersten Teils des Buches ist wie ein Schwelgen in Flieder und Lavendel, ist mehr durch Erkenntnisfortgang als durch äußere Handlung bestimmt. Doch mit dem Job ändert sich alles. Zu den Farben von Leben, Frühling und Liebe kommen die Farben des Mißtrauens, der Gefahr und des Todes hinzu und das Tempo der Handlung nimmt an Fahrt auf. Es ist nicht vordergründige Action, die der Handlung ihren Drive gibt, sondern die Gedanken des Protagonisten. Sie sind der Stoff der Gegenwart und seiner Vergangenheit, sie bewegen und treiben ihn. Nichts wird dabei von ihm ausgelassen, das Was war und das Ist bestimmt sein Denken und alles ist unterlegt vom Sound der Kriege dieser Tage.
In Bagdad hört er von Artikeln der Tochter als Kriegsberichterstatterin. Sie ist durch Veröffentlichungen falscher Nachrichten, die ihr eine Mitarbeiterin der CIA zuspielte, in große Gefahr geraten. Wie sich herausstellt, ist sie nach Silivri entführt worden, der Haftanstalt bei Istanbul. Leinenfeld verbündet sich mit einer Macht für den Versuch ihrer Befreiung ...
Der anfänglich melancholische Ton des Romans unerfüllt bleibender Liebe steigert sich durch die innere Dramatik der Handlung zu einer Dynamik mit einem Klang immer stärker verstörender Geschehnisse, ein Abenteuer, dem aber nie der emotionale und gedankliche Tiefgang abgeht, und das hebt das Buch ab von der Art üblicher Unterhaltungsliteratur, denn was sich da dem Leser entwickelt, ist ein Abbild der Bedrohungen unserer Welt und der Stellung des Westens und Deutschlands darin.
Ein großer Wurf der Literatur über unsere Tage und das Überzeitliche in ihnen, eine andere Weise von Liebe und Tod, eine Saga unserer Zeit.

Brunhilde Gülten

 

Jürgen Schmidt-Pohl „Flieder, Lavendel und der Geruch des Todes“

ISBN 978-3-9820189-0-4, Roman, 378 Seiten, Broschur, € 24,-

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