Rezension zu:
Jürgen Schmidt-Pohl „Irgendwann in Tibet“
Nichts ist, wie es scheint. Helge Leinenfeld soll einen alten Freund aus Tibet nach Deutschland zurückbringen. Doch trotz aller Vorbereitungen läuft bei dieser Reise alles anders als geplant. Der Mittelsmann wurde ausgetauscht, aber von wem? Mafia und Geheimdienste mischen sich ein, aber in wessen Auftrag? Selbst die Chinesin Li Ann Chang, zu der Leinenfeld sich so hingezogen fühlt, hat eine unerwartete Vergangenheit. Und auch die Freundschaft, Anlaß der Unternehmung, muß irgendwann in Frage gestellt werden.
Diesem Thriller, als Roadmovie angelegt, liegt die Überlegung zugrunde, was passieren würde, wenn die großen Flüsse in Tibet – Lebensadern der Nachbarländer – aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen gestaut und damit zum Versiegen gebracht würden. Der Autor hat die verschiedenen Interessenlagen und sich ergebenden Möglichkeiten in alle Richtungen ausgelotet. Er führt dem Leser die Zerbrechlichkeit dieses Planeten und der herrschenden Gleichgewichte zwischen den Menschen vor Augen.
Nichts ist gut, die Decke der Zivilisation ist erschreckend dünn, es braucht nicht viel, um sie mit unabsehbaren Folgen zu zerreißen. Dieser Weg der Erkenntnis bleibt dem Protagonisten nicht erspart. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg, das scheint auch für den Kalten zu gelten. Die großen und kleinen Mächte der Welt fangen gerade erst an, sich neu zu formieren. Und weil diese Entwicklung so komplex und kaum durchschaubar ist, bietet sie für alle Beteiligten beste Möglichkeiten, andere für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Auf dieser Folie bewegt sich die atemlose Thrillerhandlung in bester Manier. Leinenfeld hat ein abenteuerliches, risikoreiches Leben hinter sich, und es sieht so aus, als wären die Gefahren noch lange nicht gebannt. Was ihn vor allem sympathisch macht, ist eine trotz aller Erfahrung nicht ausrottbare Naivität. Das bewahrt ihn wohltuend vor dem Zynismus so vieler Protagonisten in ähnlicher Lage.
Ein spannender Roman voller Verunsicherungen in einer unsicheren Zeit.
Arthur Krüger
Jürgen Schmidt-Pohl „Irgendwann in Tibet oder ex oriente lux“
254 Seiten, ISBN 978-3-00-054487-3, 20,00€